Sonntag, 25. August 2013

"Türkei: Staatliche Stellen waren in die Vorbereitungen von Anschlägen syrischer Terroristen in der Stadt Reyhanli eingeweiht. Massaker wurden dann Damaskus angelastet"

"Außerhalb der Türkei ist Utku Kali weitgehend unbekannt. In seinem Land gilt der Gefreite der Militärpolizei dagegen unter Regierungskritikern entweder als türkischer Bradley Manning oder als Unschuldiger, mit dem staatliche Stellen von ihrer Verwicklung in Terroranschläge ablenken wollen.

Bei zwei Autobombenanschlägen in der Stadt Reyhanli waren am 11. Mai in der an Syrien grenzenden Provinz Hatay mindestens 53 Menschen getötet worden. Die türkische Regierung hatte kurz nach den Attacken erklärt, der syrische Geheimdienst habe die Bomben in Zusammenarbeit mit türkischen Linksradikalen gelegt.

Der am 24. Mai verhaftete Wehrdienstleistende Kali wird nun beschuldigt, in seiner Dienststelle Kopien von Dokumenten des Militärpolizei-Geheimdienstes gemacht und über sein Mobiltelefon an einen Journalisten in Istanbul geschickt zu haben. Diese von der linksradikalen Cyberaktivistengruppe Red Hack ins Internet gestellten Dokumente beweisen, daß staatliche Stellen über die Vorbereitung der Anschläge durch die in Syrien für die Errichtung eines islamischen Emirats kämpfende dschihadistische Al-Nusra-Front informiert waren. Sogar die Automarken und Kennzeichen der von den Islamisten präparierten Fahrzeuge waren dem Geheimdienst bekannt, ohne daß dieser die Attacken verhinderte. Da sich der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kurz darauf mit US-Präsident Barack Obama traf, sollte durch solche, später der syrischen Regierung angelastete Rebellenanschläge Stimmung für ein direkteres militärisches Eingreifen der NATO gemacht werden, vermuteten Oppositionspolitiker in der Türkei.

Eine Militärstaatsanwaltschaft hatte eine Haftstrafe von 25 Jahren gegen Kali wegen der Weitergabe von Staatsgeheimnissen gefordert. Doch Mitte August erklärte sich das Militärgericht in Sivas für nicht zuständig und überwies den Fall an das Hohe Kriminalgericht in Samsun. Vor diesem mit Sondervollmachten zur Terrorismusbekämpfung versehenen Gericht soll Kali nun nach dem Antiterrorgesetz verurteilt werden, teilte seine Schwester und Anwältin Ceren Kali Ende voriger Woche auf einer Pressekonferenz mit.

Kalis Familie ist von dessen Unschuld überzeugt. Dieser sei kein »Held« sondern ein einfacher Bürger, der seinen Militärdienst ableistete. »Er hat die Straftat selbst während seines Verhörs, bei dem Folter zur Anwendung kam, nicht gestanden«, erklärte seine Anwältin. Die Solidarität mit Kali sei groß. Er bekäme im Militärgefängnis Hunderte Briefe. Musikgruppen schickten ihre CDs und Schriftsteller ihre Bücher. Red Hack hatte bereits vor Kalis Festnahme gewarnt, daß der Staat einen Soldaten als Bauernopfer präsentieren würde, um durch eine Reyhanli-Leak-Affäre vom brisanten Inhalt der Dokumente abzulenken.

Nachdem Red Hack bereits bei Veröffentlichung der Geheimdienstdokumente Fotos beigefügt hatte, die Politiker der islamisch-konservativen AK-Partei gemeinsam mit Kämpfern der Al-Nusra-Front in Reyhanli zeigten, sind jetzt erneut Bilder von Politikern der Regierungspartei mit Al-Qaida-Mitgliedern aufgetaucht. Der Bürgermeister der Grenzstadt Ceylanpinar, Ismail Arslan, der selber der prokurdischen Partei für Frieden und Demokratie (BDP) angehört, präsentierte Aufnahmen, auf denen die AKP-Abgeordneten Seydi Eyüpoglu und Abdulkerim Göc aus Urfa sowie der AKP-Stadtratskandidat Menderes Attila mit dem syrisch-arabischen Stammesführer Nawaf Al-Bashir auf einem Treffen am 21. August in Istanbul zu sehen sind. Al-Bashirs Stamm unterhält enge Beziehungen zu Al-Qaida, seine Männer beteiligten sich von Ceylanpinar aus an Angriffen der Al-Nusra-Front auf die direkt jenseits der Grenze gelegene syrisch-kurdische Stadt Serekaniye, die von kurdischen Milizen kontrolliert wird. Ein anderes Bild zeigt Attila und weitere AKP-Funktionäre mit einem Kämpfer der Al-Nusra-Front in Ceylanpinar. Die Al-Qaida-Kämpfer würden dort in Hotels untergebracht, versorgt und geschützt, beschuldigte Bürgermeister Arslan die AKP der Unterstützung der für zahlreiche Massaker an religiösen und ethnischen Minderheiten in Syrien verantwortlichen Gotteskrieger."

Quelle: http://www.jungewelt.de/2013/08-26/033.php

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